AUF EIN WORT ZUM HISTORISCHEN ROMAN
„Darf der das?“ kündigte die Westfälische Rundschau Jörgen Brackers Autorenlesung aus dem Historischen Roman ZEELANDER – DER STÖRTEBEKERROMAN im Seminar für mittelalterliche Geschichte der Universität Bielefeld an. Dass der Direktor des größten Deutschen Stadtmuseums, dazu noch Doktor und Professor, wissenschaftlich gesichertes Terrain verlässt und sich auf das schlüpfrige Gelände des Historischen Romans begibt! Unerhört!
Der „Wissenschaftler“
Eine Universitätszeitung in Berlin und Spiegel-Online mokierten sich über den Wissenschafts-Behaviorismus in Deutschland, vor dem angelsächsische Kollegen noch nie gekniffen hätten. Der Historiker hört auf zu schreiben, sobald die Quellen schweigen und er ins Spekulieren gerät. Genau an diesem Punkt gönnt sich der Schreiber eines Historischen Romans das Vergnügen, wenigstens zu denken, wie die Geschichte sich nach aller Wahrscheinlichkeit bis zum Erreichen weiterer Quellen weiter entwickelt. Er sattelt seinen Pegasus, der, beflügelt von Fantasie, ihn über die tiefsten Schluchten hinweg trägt, um wieder auf festem Ufer zu landen. Am Ende wird doch noch ein tragfähiger Plot daraus.
Um den Leser an diesem Vergnügen teilhaben zu lassen, pflegt der Autor in allen seinen Romanen durch ein Nachwort abzugrenzen, was an dem Roman als wahr oder nur wahrscheinlich hingenommen werden dürfe und dort auch seine Quellen zu offenbaren. Goethe, der Kriegsteilnehmer der Campagne in Frankreich, hat häufig genug die Entzauberung von Idealen durch die dreckige Wirklichkeit erlebt und sich zu der Meinung durchgerungen, dass Geschichte nicht sakrosankt und für die Ewigkeit sondern von Zeit zu Zeit neu geschrieben werden müsse.
Arno Schmidts Vorstellung von zeitgerechten, wirklichkeitsnahen Neuorientierungen der Geschichtsschreibung blitzt hier und da auf, wo er seine Skepsis gegenüber Historischen Romanen zum Ausdruck bringt. Dem Historiker im Elfenbeinturm spricht Schmidt jede Fähigkeit ab, von ihm selbst nicht miterlebte Perioden sine ira et studio zu beschreiben: „Mommsen, Römische Geschichte (1850 geschrieben) oder Burckhardt, der vom ‚Goldglanz um den Sohn des Philippos“ schwärmte? Nein, nein! Die Herren lassen erstens allzu gern einige Säcula verstreichen, ehe sie ein ‚heißes‘ – womöglich noch glühendes – Eisen antippen…“
„Sogenannte ‚Historische‘ Romane“ – sagt Arno Schmidt – „schreibt nur der literarische Schwätzer“ und nennt zu Recht Rosenberg, Goebbels, Grimm, Blunck und Frenssen. Bereits Schopenhauer habe befürchtet, auch andere Autoren „möchten ihre Aufgabe lediglich darin sehen, die jeweilige Regierungspolitik und Staatsreligion theoretisch zu begründen“. Von einigen unrühmlichen Beispielen abgesehen, wird man derlei Absichten der Vielzahl ausgezeichneter Romane, die gegenwärtig belegbare Ereignisse aus der Vergangenheit neu zu beleben versuchen, keinesfalls unterstellen. Schmidts Rubrik ‚sogenannter historischer Romane‘ sind wohl eher der Reihe ins Kraut schießender Bestseller zuzuordnen, deren Hauptthemen nicht einmal auf verlässlicher Überlieferung fußen, vielmehr aus „Mangel an Stoff … tiefschürfende Schmunzetten“ offerieren. Durch eigene Erfahrungen geläutert, müsse der Autor, als schreibe er an einer Autobiografie, den Gedanken an einen Historischen Roman aufgeben und den Stoff aus längst abgesunkener Vergangenheit im Sinne eines Politischen Romans neu beleben.